Street View

Street View
Rekonstruktion eines Ortes

by Andreas Kohli
by Emilio Paroni

In diesem Workshop wird die These zur Diskussion gestellt, dass ein Großteil der Kenntnis der Welt auf medialen Artefakten basiert. Die persönlichen Wertungen, Vorstellungen und Sichtweisen, das meiste, was wir vermeintlich wissen, beruht auf dem, was wir durch die Augen anderer gesehen haben – auf prozessierten und mediatisierten audiovisuellen Inhalten.
Der Workshop wurde jeweils im 1. Semester an der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt und kann mit zwei zusätzlichen Übungen zu Beginn und Abschluss ergänzt werden.

Die Teilnehmenden analysieren architektonische, städtebauliche und soziale Eigenschaften eines durch Koordinaten definierten Orts. Sie kennen den Ort selbst noch nicht. Dieser wird ausschließlich via Google Street View (GSV) erkundet und mit Screenshots „fotografiert“.
Aufgrund dieser Online-Recherche re-konstruieren die Teilnehmenden den Ort in Form eines Kartonmodells. Das Modell wird mit Licht inszeniert und aus einer möglichst ähnlichen Perspektive wie die GSV-Screenshots fotografiert.
Anschließend begehen die Teilnehmenden die realen Orte und vergleichen die begehbare Realität mit ihren Fotos von GSV und dem Modell.

Das Projekt thematisiert zudem das maschinelle Bilderzeugnis und die Modellbildung von GSV. GSV ist ein fotografisches Abbild ohne Ränder und ohne weitere Komposition, eine technische, größtenteils maschinell erzeugte Bildkonstruktion, die vielleicht gerade deswegen eine hohe Authentizität suggeriert.
Durch den Modellbau und den Realitäts-Check im realen Raum vor Ort werden die Differenzen der unterschiedlichen Bild- und Raumkonstruktionen offensichtlich.

  • Phase 1:
    Die Teilnehmenden arbeiten in Gruppen von ca. 3–4 Personen und erhalten die Koordinaten eines Ortes. Sie analysieren architektonische, städtebauliche und soziale Eigenschaften des Ortes via GSV. Wichtig ist die Regel, dass keine weiteren Quellen benutzt werden dürfen. Anschließend machen sie eine „Fotografie“ (Screenshot) des Orts.
    Dauer: ca. 1 Stunde
  • Phase 2:
    Ausschließlich mit den online recherchierten Bilddaten von Google Street View und mit Grundrissen von Google Maps rekonstruieren sie den Ort modellhaft im realen Raum, ungefähr im Maßstab 1:35.
    Das Material ist Karton, die Oberflächen werden mit Prints von aus GSV kopierten und in Photoshop zusammengefügten Fassadenelementen beklebt.
    Dann inszenieren sie das Modell in möglichst genauer Übereinstimmung mit dem GSV-Screenshot und fotografieren wiederum ihre Inszenierung.
    Dauer ca. 1,5 Tage
  • Phase 3:
    Die realen Orte werden zusammen begangen und die Situation vor Ort wird mit den Fotos von GSV und dem Modell verglichen. Der reale Ort wird in möglichst guter Übereinstimmung mit dem Screenshot fotografiert.
    Die drei Abbildungen (GSV, Fotografie des Modells und Fotografie des realen Ortes) werden in Bezug auf ihren Realitätsbezug untersucht und verglichen.
    Dauer: pro Ort ca. 1/2 Stunde

Zwei zusätzliche, optionale Aufgaben:

  • Einstiegsaufgabe
    Gemeinsam ein Online-Spiel spielen, bei dem man per Zufall irgendwo in der virtuellen Welt landet und mittels GSV herausfinden muss, wo man sich befindet. (Bsp.: geoguessr.com, virtualvacation.us, getlostgame.app). Dabei wird während des Spiels permanent diskutiert, auf welchen Quellen die individuellen Vermutungen zu diesem Ort basieren.
  • Folgeaufgabe (Phase 4)
    Quasi in einem umgekehrten Prozess wird ein Perimeter im realen Raum untersucht und eine bildliche Darstellung gesucht, die als Alternative zu GSV eine realitätsnahe und mit Kommentaren aus der Recherchearbeit ergänzte Darstellung des Straßenzugs ist: In Gruppen werden Häuserblöcke im realen Raum fotografisch dokumentiert und der soziale Raum wird detailliert recherchiert. Die Fotos werden zu Panorama-Bildern montiert und mit Notizen und Skizzen der Beobachtungen vor Ort ergänzt. In einer mehrjährigen Wiederholung des Projekts werden die Panoramen zu Zeitzeugen der Stadtentwicklung.
    (Bildbeispiele von der Zürcher Langstrasse).
  • Jürgen Krusche: Strassenräume Berlin Shanghai Tokyo Zürich. Eine foto-ethnografische Untersuchung. Lars Müller Publishers; 1. Edition (2011)
  • Klaus-Peter Busse: Den Atlas öffnen, in: Rudolf Preuss (Hg.): Mapping Brackel, Norderstedt 2008 (Dortmunder Schriften zur Kunst. Studien zur Kunstdidaktik Bd. 7), S. 15–22
  • Helmuth Berking, Martina Löw (Hg.) Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung. Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main (2008)
  • Andreas Kohli, Emilio Paroni (Hg.) An Accidental Tourist Guide – Exploring Hong Kong, Publisher Zurich University of the Arts, Zurich/Hong Kong 2017, PDF download:
    https://medienarchiv.zhdk.ch/entries/accidental_tourist_guide_book
Drei schwarzweiß Aufnahmen von Häuserfronten.
Ergebnisse aus den Durchführungen der Aufgabenstellung

Ergebnisse aus den Durchführungen der Aufgabenstellung © 2013-15 von Andreas Kohli und Emilio Paroni unter der Lizenz CC BY-NC-SA 4.0

Andreas Kohli (Dozent), Emilio Paroni (Dozent), ZHdK – Zürcher Hochschule der Künste.

Prior Knowledge and Preparation
Praktische Vorbereitung für die Lehrperson: Definition der vorgegebenen Orte
Benötigtes Material: Karton, Cutter, Schere, Sprayleim, S/W-Drucker

Additional Tools

  • Photoshop
  • Google Street View