Unbequeme Denkmäler

Unbequeme Denkmäler
Denkmäler umdeuten und Monumentalität neu denken

by Santiago Piñol Arévalo
by Yunjoo Kwak

Der Begriff des Dekolonialisierens, im Oxford English Dictionary etwa beschrieben als das Ende eines Koloniestatus oder einer Kolonie zugestehen, dass sie selbstbestimmt oder unabhängig wird („to release from a status of a colony, or to allow (a colony) to become self-governing or independent“) wird in dieser Aufgabe im Kontext eines spezifischen Themas behandelt: dem Neu-Denken oder Umdeuten von Denkmälern und Monumenten. Das englische Wort ‚monument‘ stammt vom Lateinischen moneo, monere ab, was so viel bedeutet wie ‚erinnern‘, ‚auf etwas aufmerksam machen‘ oder ‚ermahnen‘, deutet also darauf hin, dass Denkmäler uns in die Vergangenheit blicken lassen, um uns vor Augen zu führen, was die Zukunft bringen kann. In diesem Projekt werden die Studierenden zu Denkmälern recherchieren, die sich in der Stadt, in der sie leben und studieren, befinden. Sie sollen entdecken, analysieren und den Kontext eines Denkmals visuell dekonstruieren, indem sie eine Karte und einen Guide anfertigen.

In diesem Projekt wird mit dekolonialem Denken und künstlerischer Forschung in den Bereichen Kolonialismus und Imperialismus versucht, die Begriffe des Selbst in der Gesellschaft und der kulturellen Identität zu untersuchen. Dabei werden wir uns mit aktuellen globalen Krisen befassen, etwa COVID-19; die Klimakatastrophe; Rassismus und Diskriminierung, die durch Black Lives Matter eine neue Öffentlichkeit erfahren. Wir wollen in diesen Kontexten die Wichtigkeit dekolonialen Denkens als kritisches Mittel, um kulturelle Verwirklichung und Debatten zu verstehen, betonen; dies in Form von Vorträgen, Gruppendiskussionen, und Einzel- und Gruppenaufgaben.

Grundlegend für dieses interdisziplinäre Feld ist, dass künstlerische Forschung und dekoloniales Denken durch visuelle Prozesse als Handlungen Verbindungen eingehen. Hier soll Fragen danach, wie Wissen produziert, verbreitet und kritisiert wird, und wie dies unser Denken, Schaffen und Alltagsleben beeinflusst, nachgegangen werden. Deswegen beschäftigt sich dieses Projekt mit kritischem Wissen aus den Feldern postkolonialer, genderqueerer Theorie und Race und Black Studies. Wir stellen kulturelle Normativitäten infrage und regen dekoloniales Denken an, durch künstlerische Forschung als einer Untersuchungsform, die Theorie und künstlerische Praxis verbindet.

  • A1: Einzelaufgabe: Visuelle Selbst-Positionierung (eine Woche)
    • Fertigt ein visuelles Statement an, in dem ihr euch und euer Selbst positioniert. Die Medienwahl ist frei, sei es ein kurzes Video, ein Text, eine Zeichnung oder eine sonstige visuelles Form.
    • Eine historische Reflextion erfordert stets eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Position und Stellung in der Welt hinsichtlich Gender, Klasse, Race, Religion, Sexualität und (Dis)Ability. Alle Kombinationen davon sind wichtig, um sich selbst in Bezug zur Welt zu verstehen, also auch um Arbeiten zu realisieren, die wirklich etwas in einem selbst und in anderen auslösen. Die ist die Basis dafür, über die eigene ‚Position‘ als Individuum innerhalb historischer und soziopolitischer Strukturen nachzudenken. Dieser Prozess hilft dabei, achtsamer gegenüber den Umständen und Bedingungen zu sein, aus denen die eigene Position entspringt sowie zu verstehen, welche Faktoren die eigene Position (de)stabilisieren können. So wird die kritische Auseinandersetzung mit der Position eures Selbst im Jetzt eine Form der Selbstreflexion, die euch aus eurer Komfortzone holt.
    • Zur Unterstützung bei dieser Aufgabe dient das Handout ‚Why self-positioning?‘
    • Auf der Grundlage dieses Statements teilt die Lehrperson die Studierenden nach gemeinsamen Interessen in Vierergruppen ein.
  • A2: Gruppenaufgabe: Ein unbequemes Denkmal als eine Form der Umdeutung (eine Woche)
    • Dieser Aufgabenteil wird selbstständig erarbeitet. Über den Zeitraum von einer Woche gehen die Gruppen durch die Stadt und suchen nach Denkmälern. Zusätzlich recherchieren sie über Denkmäler in ihrer Stadt. Die Aufgabenschritte lauten wie folgt:
    • Erstellt eine kollektive Karte von Denkmälern in eurer Stadt. Ihr könnt dies als Gruppe bewerkstelligen, indem ihr einen Spaziergang in der Stadt macht oder Online-Recherche betreibt, oder beides. Wenn ihr einige Beispiele von Denkmälern gesammelt habt, kartografiert ihr diese, um dann gemeinsam daran zu forschen. Als Inspiration könnte der agitpop mapping-Workshop aus Manual of Collective Mapping (Seiten 17-20) des Grafik-Forschungs-Kollektivs Iconoclasistas dienen.
    • Die Gruppe wählt nun ein oder zwei Denkmäler aus. Obwohl als Gruppe gearbeitet wird, erstellt jede:r Studierende einzeln einen Guide zu dem Denkmal. Die Studierenden verwenden dabei den Monument Lab Field Trip ‚activity guide‘, ein sehr praktikables Tool, das von MonumentLab entwickelt wurde, um einen detaillierten und kritischen Blick auf Denkmäler zu ermöglichen.
    • Nun erarbeiten die Studierenden ein Konzept für eine kritische Aktion oder kritische Stellungnahme zum gewählten Denkmal. Dies kann in jeder Form geschehen: ein kritischer Text, eine Online-Intervention, eine Performance, ein Video, eine Soundarbeit, eine Kombination dieser, oder andere.
    • Recherchiert Strategien, die Bewegungen und Kunstschaffende rund um den Globus bezüglich der Einnahme und Umgestaltung von Denkmälern verwendet haben und lasst euch inspirieren. Als Beispiele schlagen wir die Arbeit von Black Lives Matter, Rhodes Must Fall, Paper Monuments, Project Say Something, Ivan Argote, Doris Salcedo, Krzysztof Wodiczko und Decolonize This Place vor. Kopiert die Strategien nicht einfach. Macht sie euch zu eigen, indem ihr sie adaptiert. Ihr solltet in der Lage zu sein, hinsichtlich des Konzepts und der Materialität über eure Arbeit zu sprechen.
    • Teilt die fertigen Guides mit euren Gruppenmitgliedern und diskutiert.
  • A3: Gruppenaufgabe: Präsentation der Recherche in einer öffentlichen Ausstellung (eine Woche)
    • Die Gruppen bereiten eine Präsentation ihres Konzepts vor und fassen ihre Recherche der vorangegangenen zwei Wochen zusammen. Zu diesem Zweck erläutern sie die Auswahl der Denkmäler in Bezug auf ihre Selbst-Positionierung und stellen den Arbeitsprozess ihrer kollektiven Kartografie vor.

Literatur:

Kunstschaffende/Projekte:

Robert-Milligan-Statue mit Black-Lives-Matter-Schild
Statue of Robert Milligan, West India Quay on 9 June 2020

Statue of Robert Milligan, West India Quay on 9 June 2020 by Chris McKenna licenced with CC BY 4.0

Diese Aufgabe wurde von Santiago Piñol Arévalo, Yunjoo Kwak für Bachelor-Studierende des dritten Jahres im Critical Studies / Autonomous Practices Department der Willem de Kooning Academie in Rotterdam entwickelt.

Wir wollen hier Iconoclasistas (Buenos Aires) und Monument Lab (Philadelphia) und deren Manual und Field Guide besonders anmerken. Beide stehen für eine Praxis, die sich dazu verpflichtet, den Status Quo von öffentlichem Raum mittels Methoden kritischer Kartografie und Geografie infrage zu stellen. Hinsichtlich der Verwendung der Guides gibt es keinen exklusiv ‚richtigen‘ Weg, es sind Guides, die kritisch adaptiert werden können.

Author’s Encouragement
Der österreichische Autor Robert Musil legte 1927 dar, dass es nichts gäbe, was so unsichtbar wäre wie ein Denkmal: „The extraordinary thing about monuments is that you don’t notice them. There is nothing in this world as invisible as a monument.“ Nach dem 26. März 2020, nach der Ermordung von George Floyd in den USA, haben wir jedoch festgestellt, dass Musils These weit von der Realität entfernt ist. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern weltweit, begannen Denkmäler im Kontext von Demonstrationen, Protesten und Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit wieder eine zentrale Rolle zu spielen. In diesem Projekt entdecken die Studierenden in ihrem eigenen Umfeld, wie diese vermeintliche Unsichtbarkeit funktioniert. Ein Prozess, der viele Entdeckungen und Überraschungen bereithalten kann.

Prior Knowledge and Preparation
Das Projekt ist so konzipiert, dass vonseiten der Teilnehmenden kein Vorwissen notwendig ist. Stattdessen übernimmt es selbst die Funktion einer Einführung in die Kerninhalte.

Die Lehrperson sollte sich vorbereitend mit der Literatur und den Handouts befassen, um sich mit den Hauptthemen vertraut zu machen: kritisches Wissen aus den Feldern postkolonialer, genderqueerer Theorie und Race und Black Studies. Danach sind ein bis zwei Wochen notwendig, um die Lektüre aufzubereiten und die Aufgaben zu testen.

Wir haben einige literarische Quellen, Kunstschaffende und Bewegungen aufgelistet, die in der Vorbereitung helfen können. Diese Liste kann aber natürlich sowohl von Studierenden als auch der Lehrperson erweitert werden.

Accessibility:
Assistance for Learners
Sie können das Projekt an verschiedene Levels an Vorwissen anpassen, indem sie im Aufgabenteil A2 nur die Aufgabenschritte A 2.1 und A 2.2 einplanen.

Additional Tools

  • Im öffentlichen Raum, dazu Meetings auf Zoom oder Teams.
  • Zoom
  • Microsoft Teams