Kartografie und (menschliche) Körper

Kartografie und (menschliche) Körper

by Golnar Abbasi
by Rosa Pons-Cerdà

In dieser Aufgabe wird das Konzept der ‚Counter-Cartography‘ verwendet, um alternative Wege zu ermöglichen, Körper und die Verschränkungen von Körper und Welt neu zu denken. Ausgehend von und mit unseren eigenen Körpern verwenden wir ‚Counter-Mapping‘, um zu lernen, inwiefern sich unsere Körper stetig im Wandel befinden und in einem Netzwerk von Kräften situiert sind, die sie beeinflussen und bedingen; anders gesagt, wie sie mit Universen, Welten und Kosmologien verwoben sind. Wir verwenden ‚Counter-Mapping‘ als ein Tool, mit dem wir alternative Formen für das Erzählen von dafür finden können, die Geschichte(n) unserer Körper und der Welt zu erzählen.

Mittels Kritik am Humanismus und dem Vitruvianischen Mensch wird in Kartografie und (menschliche) Körper das allgemein gängige Verständnis des menschlichen Körpers, der das Menschsein an sich konstituiert, infrage gestellt, da dieses Verständnis viele Erfahrungen des In-der-Welt-Seins marginalisiert und entwertet. Diese Aufgabe soll stattdessen ein Körper-Verständnis vermitteln, dass Körper als abhängig von soziopolitischen Machtstrukturen, Netzwerken und Biopolitik begreift, welche das Menschsein gewissermaßen dirigieren.

‚Counter-Mapping‘ ist eine Praxis des Diskutierens und des Generierens von Verbindungen zwischen dem Physikalischen, dem Virtuellen und dem Imaginären. Mit ‚Counter-Mapping‘ als Praxis dokumentieren wir nicht nur, sondern spekulieren kreativ über Relationen zwischen Dingen. Wir verwenden Karten nicht nur, um unsichtbare Relationen und Prozesse zu konkretisieren, sondern auch dafür, Wissen zu dokumentieren und zu generieren. So nehmen mit der Karte auch neue Relationen und Einsichten Form an. Die ‚Counter-Mapping‘-Praxis ist also ein Mittel, wie sich Körper und Welt neu denken lassen.

Die Studierenden arbeiten 2 bis 3 Wochen lange in Gruppen, die Lehrperson treffen sie in Übungseinheiten/Seminaren. Die Zeitspanne dieser von den Studierenden gut zur Hälfte selbst geleiteten Arbeit kann mit ein paar Anpassungen verändert werden, falls gewünscht oder notwendig.

  • KARTE + LEGENDE
    • Das Format und das Medium der ‚Counter-Map‘ steht den Studierenden frei. Sie kann digital oder physisch angefertigt werden. Die Studierenden setzen bereits angewandte Fähigkeiten und Medien ein oder experimentieren mit für sie neuen Formen. Die fertige ‚Counter-Map‘ wird auf Hotglue (oder einer äquivalenten Whiteboard-Plattform, wie etwa Miro) archiviert.
    • Die Karte sollte über eine frei gestaltbare Legende verfügen, deren Logik zum Aufbau der Karte passt. Die Legende kontextualisiert und rahmt die Karte, indem sie Informationen bereitstellt und alles Nötige zur Handhabung der Karte erklärt. Sie sollte Folgendes beinhalten: Titel; Erstellungsdatum; Namen der Autor:innen; eine Einführung (200 Wörter), die die Methoden und theoretischen Hintergründe sowie weitere Überlegungen, die hinter der Karte stehen, zusammenfasst; ein Literaturverzeichnis; und (optional) Hilfestellungen oder Anleitungen zur Benutzung.

Weiter unten finden sich einführende Aufgaben zum ‚Mapping‘, aus denen die Studierenden Tutorials entwickeln können.

  • A. GRUPPEN BILDEN (einzeln, 45 Minuten)
      • Alle Studierenden schreiben ihren Namen und ein Thema ihrer Wahl in ein kollektives etherpad. Schriftliche Konversationen sind ausdrücklich erlaubt. Danach suchen die Studierenden und die Lehrperson Übereinstimmungen hinsichtlich Thema und Diskussionsinhalt. Davon ausgehend teilt die Lehrperson die Studierenden in Zweier- oder Dreiergruppen ein.
        * Google Docs oder ähnliche Plattformen können ebenfalls verwendet werden, die Anonymität von etherpads ist hier jedoch von Vorteil.
  • B. ERSTE SCHRITTE MIT ‚MAPPING‘
    • Nach einer Seminararbeit mit Diskussion über ‚Mapping‘ und das ‚Mapping‘ von Körpern (mit Beispielen wie etwa Weltkarten von Al Istakhri und Karten des Projekts This Is Not an Atlas) sollen die Studierenden über folgende Fragen nachdenken:
      • Was bedeutet es, in einem Körper zu leben?
      • Wie verstehen wir das ‚Zu-diesem-Körper-Gehören‘ auf sinnhafter Ebene?
      • Was verbinden wir mit dem ‚menschlichen‘ Körper? Welche Bilder assoziieren wir damit?
      • Wenden wir unser Verständnis des ‚menschlichen‘ Körpers auf nicht-menschliche Körper an?
      • Wie kann sich Kulturschaffen, wie hier künstlerisches ‚Mapping‘, ‚Counter-Mapping‘ und kollaborative Kartografie, an die Gesetzmäßigkeiten richten, die unsere Körper regieren?
      • Können unsere Designs dabei helfen, gängige Denkmuster in andere, neue Verständnisse von ‚In-und-mit-einem-Körper-Sein‘ zu transformieren?
      • Welche Karten findest du besonders bemerkenswert und warum?
      • Wie formen Karten unser Verständnis von Leben, Körpern und der Welt mit?
  • C1. ‚MAPPE‘ DEINEN EIGENEN KÖRPER (einzeln, 45 Minuten)
    • Beginne damit, deinen eigenen Körper zu ‚mappen‘. Diese Übung ist frei hinsichtlich Gestaltung, die Studierenden können sie beliebig interpretieren und beliebige Formate verwenden. Sie kann mit digitalen oder analogen Mitteln (oder beides) durchgeführt werden. Tu dies aus der spezifischen Perspektive deines gewählten Themas. Denk darüber nach, wie du eine Karte deines eigenen Körpers gestalten würdest; du kannst dazu Worte, Bilder, Fotografien, Stimmen, Videos, oder beliebiges anderes textliches, visuelles oder auditives Material verwenden.
    • Als anfängliche Hilfestellung kannst du darüber nachdenken, in welcher Verbindung folgende Prompts zu deinem Thema stehen:
      • Deine körperlichen Eigenschaften sowie deine Wünsche, Emotionen, Sinne und Gefühle;
      • Deine Erfahrungen, Erinnerungen und Entscheidungen, vergangene wie aktuelle;
      • Deine Begegnungen mit anderen Körpern, Freund:innen, Familie oder Bekannten;
      • Wie du aufgewachsen bist: Gedankengut, Denkmodelle, Glaube;
      • Denk über Stigmata nach, die dich vielleicht unter Druck setzen;
      • Denk über deine Vorfahren nach, denk darüber nach, wo dein Körper herkommt;
      • Denk darüber nach, wie sich dein Körper hätte verändern können;
      • Denk darüber nach, was Texte, Vorträge, Podcasts und andere Gedanken in dir verändert haben;
      • Denk darüber nach, inwiefern dein Körper über sich hinauswirkt.
  • C2. KARTEN KOMBINIEREN (Gruppe, 75 Minuten, direkt im Anschluss an C1)
    • Findet euch in euren Gruppen zusammen. Zeigt einander eure Körper-Karten und erstellt eine Karte aus den individuellen Karten der Gruppe. Ob ihr eure Namen auf der Karte lasst, wenn ihr sie auf Hotglue hochladet, ist euch überlassen.
    • Findet Gemeinsamkeiten in euren Karten. Identifiziert auch die Aspekte, die voneinander abweichen; von beidem gibt es sicher einige. Diese Unterschiede und diese Vielfalt werden euch dabei helfen, eure kombinierte Karte weitgreifender und umfassender zu machen.
    • Versucht in dieser kombinierten Karte, die Inhalte, die ihr in euer individuellen Körper-Karte behandelt habt, in eine breitere Diskussion über das gewählte Thema einzubetten.
  • C3. ERSTELLEN EINER LEGENDE (Gruppe, 30 Minuten, direkt im Anschluss an C2)
    • Erstellt eine Legende für eure kombinierte Karte. Verwendet dafür eine visuelle Logik und eine Formatierung, die der Karte entspricht. Inkludiert einen Titel und eine kurze Einführung (200 Wörter).
Ein grauer strukturierter Hintergrund mit Regentropfen. Dünne geschwungene Linien, die sich über den Hintergrund legen.
Countering Cartographies

Counter-Cartographies and Bodies © 2020 by Golnar Abbasi and Rosa Pons-Cerdà is licensed under CC BY-SA 4.0

Diese Aufgabe basiert auf dem Projekt Contagious Choreographies von Gabriel Fontana, Lila Athanasiadou und Carmen Jose für Bachelorstudierende an der Willem de Kooning Academie in Rotterdam.

Prior Knowledge and Preparation
Grundlegende Kenntnisse über posthumanistische, dekoloniale und feministische Diskurse sind empfehlenswert, da sie die theoretische Basis für die Arbeitsprozesse darstellen.

Accessibility:
Assistance for Learners
Die Aufgabe kann sowohl in Präsenz als auch online durchgeführt werden.

Online-Tools wie Hotglue, Zoom, Teams oder andere ermöglichen bessere Zugänglichkeit für manche Studierende, etwa marginalisierten Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, sehr introvertierten und schüchternen Studierenden oder Studierenden mit Sozialphobie.

Da die Aufgabe doch ein gewisses Maß an Verwundbarkeit mit sich bringt, sollten sowohl Lehrperson als auch Studierende darauf achten, dass sie sich wohlfühlen und gemeinsam einen Raum schaffen, in dem sich alle sicher einander öffnen können.

Additional Tools
Zum Archivieren der entstehenden Arbeiten wird in dieser Aufgabe hauptsächlich die Plattform Hotglue verwendet (www.hotglue.me). Teilweise werden auch Etherpads verwendet (z. B. http://pad.riseup.net/). Studierende können selbstverständlich auch selbst gewählte Medien und Tools verwenden, abhängig von ihren bereits gesammelten Erfahrungen und Perspektiven. Bis jetzt arbeiteten die Studierenden (online sowie in Präsenz) etwa mit 3D, Augmented Reality, Video und Animation, Gamedesign, Audioaufnahmen und Zeichenwerkzeugen.
Since the task does involve a certain degree of vulnerability, both teachers and students should make sure that they feel comfortable and create a space together in which everyone can safely open up to each other.

Dieser Kurs wurde bereits sowohl online via Teams und Zoom als auch in Präsenz durchgeführt.