Der Körper als Archiv

Der Körper als Archiv

by Rosa Pons Cerdà

Wir gestalten eine alternative, kollaborative Karte, um zu veranschaulichen, wie unsere Körper in einem diskursiven Verhältnis mit und zur Welt und deren Normen stehen. Wir verwenden in dieser Aufgabe ‚Mapping‘, das Erstellen von Karten, als ein Mittel der ‚Counter-Cartography‘, eine Praxis, die alternative Narrative vorschlägt, welche individuelle sowie kollektive Erfahrungen einbeziehen und darstellen.

Unsere Körper tragen mehr Erfahrung in sich, als es uns bewusst sind. Auf unsere Gedanken und mentalen Vorgänge achten wir für gewöhnlich stärker als auf unseren Körper als Sensor und Erfahrungs-Archiv. Körpern sind zudem soziale, gesellschaftliche und politische Bedeutungen eingeschrieben, Fähigkeiten, Form, Haut, Gender etc. Normen und Bedeutungen sind mit allem körperlichen untrennbar verbunden. Zu den eigenen verkörperten Erfahrungen (wieder) eine Verbindung herzustellen, bedeutet, sich wichtigen Fragen zu menschlicher Identität und unserer Position als Kunst- und Designschaffende zu stellen, im Erwachsenenleben, aber auch schon im Teenager-Alter.

Zusammenarbeit mit anderen kann Raum für Selbsterfahrung und Austausch eröffnen. Wir nennen diesen Vorgang ‚peer designing‘.

Für die Visualisierung von gemeinsamer Recherche mit gesellschaftlich relevantem Hintergrund wird hier die Herangehensweise des ‚Counter-Mappings‘ verwendet.

Diese Aufgabe versteht sich als eingestrickt oder eingewoben in eine intersektional-feministische Methodik, die es zum Ziel hat, (be)herrschenden Körperdiskursen etwas entgegenzusetzen. Über Jahrhunderte hinweg wurde der Körper typischerweise als männlich imaginiert (Vitruvianischer Mensch, Leonardo da Vinci, 1490). Dieses Konstrukt hat immer noch große Auswirkungen auf die halbe Bevölkerung (beispielsweise ging die Covid-19-Forschung stark von männlichen Körpern aus, sodass unklar ist, wie sich das Virus etwa auf Menstruation auswirkt).

Diese Aufgabe beginnt mit Introspektion, die Studierenden erkennen einen wichtigen persönlichen Moment in ihrer Biografie und visualisieren diesen skizzenhaft. Ergebnis davon sollte eine in Zweiergruppen angefertigte Karte sein, die das Herausgefundene in Kartenform darstellt.

  • A1
    Ermutigen Sie sich und die Studierenden, den eigenen Körper zu spüren, sich mit ihm zu verbinden und sich dabei wohlzufühlen. Anschließend hören sich alle folgende fünfminütige angeleitete Meditation an (oder eine, die Sie selbst aufgenommen haben). Die Studierenden haben im Anschluss daran zehn Minuten Zeit, ihre Empfindungen und Gedanken während der Meditation zu notieren und zu skizzieren.
    Soundcloud-Link zur Meditations-Anleitung:
    https://soundcloud.com/rosa-pons-1/opening-the-archive-short?si=06162694e0d147ffaab745b0b48e20d8
  • A2
    Ermutigen Sie die Studierenden, einen simplen Umriss ihres Körpers auf einem kollektiven Whiteboard zu skizzieren und darin das Ergebnis der Introspektion zu lokalisieren. Die Verwendung von Text wird hier nahegelegt.
    Link zu Draw.Chat:
    https://draw.chat
  • A3
    Fordern Sie die Studierenden dazu aus, sich ein paar Minuten dafür Zeit zu nehmen, alle Skizzen zu betrachten und eine auszuwählen, die sie besonders interessiert und daneben ihren Namen zu notieren. Sobald eine Skizze mit einem Namen versehen ist, kann sie niemand sonst mehr auswählen. Die Person, die diese Skizze angefertigt hat, schreibt ebenfalls ihren Namen dazu. Die so gruppierten Studierenden verwenden die Chatfunktion, um private Gespräche zu beginnen. (Eine Methode, die Zeit spart und durch die sich Wiederholungen vermeiden lassen: Eine Hälfte der Studierenden schlägt Skizzen vor und die andere Hälfte antwortet.)
  • A4
    Sobald die Studierenden in Zweiergruppen aufgeteilt sind, werden Breakout-Rooms eröffnet und ein neues Whiteboard in Draw.Chat wird angelegt. Fordern Sie die Studierenden dazu auf, die zwei Karten zu copy-pasten und ihr Gespräch zu beginnen. Die Studierenden sollten thematische und kontextuelle Gemeinsamkeiten finden.
  • A5
    Im letzten Aufgabenschritt fügen die Studierenden ihre Karten zu einer gemeinsamen zusammen: Ergänzt Farben, Formen, Bilder, Texte etc.

Artikel:

  • Hartnel, Jack. “The many lives of the Medieval Wound Man“. The Public Domain Review. 2016.
    https://publicdomainreview.org/essay/the-many-lives-of-the-medieval-wound-man
    (Ein Artikel darüber, wie ‚Body Mapping‘ dazu verwendet wurde, menschliche Erfahrung und Heilmethoden zu visualisieren).
  • Mesquita, André. “Counter-Cartographies: Politics, Art and the Insurrection of Maps”.
    notanatlas.org
    (Ein Artikel über die gesellschaftliche Funktion von ‚Counter-Cartography‘ und deren Werte).
  • Rizvi, Uzma. “Decolonization as Care.” Slow Reader: A Resource for Design Thinking and Practice,” Eds. Strauss, Carolyn and Pais, Ana Paula. Amsterdam: Valiz, 2017.
    https://www.academia.edu/31930839/Decolonization_as_Care
    (Ein Artikel darüber, inwiefern Körperarbeit als künstlerische Praxis bedeutet, mit anderen in Verbindung zu treten und sich mit unserem Situiert-Sein in der Welt auseinanderzusetzen, und so zu ermöglichen, dass sich unsere Erfahrungen transformieren).

Beispiele für ‚Mapping‘:

Ein Wandbild mit einem Bild eines Pferdes und Handabdrücken.
Archives of the body

The body as an archive © 2020 by Rosa Pons-Cerdà and Golnar Abbasi is licensed under CC BY-SA 4.0

Diese ‚Counter-Mapping‘-Aufgabe wurde von Rosa Pons Cerdà für eine DIDAE Trainings-Session entwickelt. Sie stellt eine Alternative zum Beginn des Aufgabenprojekts Kartografie und (menschliche) Körper dar, das gemeinsam mit Golnar Abbasi im Social Practices Department der Willem de Kooning Academie Rotterdam erarbeitet wurde.

Author’s Encouragement
Wir sind alle damit vertraut, den Körper als Körperteile, Organe und deren Funktionen zu verstehen, der Körper als Träger von Erinnerungen blieb dabei jedoch außen vor. Diese und weitere Erkenntnisse miteinander zu teilen, resultiert darin, dass wir unsere Verwundbarkeiten teilen. Eine angeleitete Meditation im digitalen Raum fördert das Sicherheitsgefühl der Studierenden in der Gruppe und darüber hinaus ihre Bereitschaft, mehr von sich preiszugeben. Die Lehrperson kann die Meditation je nach Zielsetzung adaptieren.

Diese Aufgabe ist insofern relevant, als der Körper als Basis dafür verstanden wird, praxisbezogene Forschung zu betreiben. Sie bietet eine Perspektive des De-Zentrierens: von mir (individuell) weg hin zu uns (kollaborativ) und hin zu notwendigen Dispositionen und Haltungen für erfolgreiches Teamwork. Daraus entstehen ergiebige Gespräche.

Die Studierenden empfinden Draw.Chat als einfach zu bedienende Applikation, mit der sie simultan zeichnen und miteinander chatten können, und die obendrein Spaß macht.

Prior Knowledge and Preparation
Kenntnisse im Bereich EDI (Equity Diversity Inclusion) sind erforderlich, um die Studierenden angemessen vorzubereiten und schwierige Gespräche und Diskussionen zu leiten.

Additional Tools

  • https://draw.chat
    Empfohlen wird die Applikation Draw.Chat für kollaborative Whiteboards. Sie ist benutzer:innenfreundlich und sehr geeignet für das Erstellen von Skizzen (eher nicht für Feinschliff).
  • Es kann jedoch ebenso gut jede andere Whiteboard-Applikation verwendet werden, solange sie Skizzieren und Zeichnen gemeinsam mit anderen Mitarbeitenden ermöglicht.